Danke!

Heute ist der 18.06.2016. Das ist mein 31. Geburtstag.

Eigentlich ja nichts Besonderes. Ja klar, ich werde ein Jahr älter und ja klar, das wird gefeiert. Aber kein runder Geburtstag, kein einschneidender.

Und doch ist es für mich ein ganz besonderer Tag, der mich sehr nachdenklich, glücklich und stolz werden lässt.

Ich erinnere mich zurück an den 18.06.2015 – meinen 30. Geburtstag vor einem Jahr. Ich fand es schon Wochen vorher ganz furchtbar, 30 Jahre alt zu werden. DREISSIG. Wie furchtbar.

 

Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits seit Anfang März krank geschrieben – und es ging mir von Tag zu Tag schlimmer. Ich wollte keinen Sport mehr machen, Körperpflege hatte keinen Stellenwert mehr, Nahrungsaufnahme auch nicht. An Freizeitaktivitäten war gar nicht mehr zu denken, schon die Kleidungsauswahl überforderte mich. Ständig und immer wieder ertappe ich mich selbst dabei, wie ich mich am helllichten Tage in mein Bett verkrümele. Dort starre ich die Wand an, wälze mich hin und her oder heule. Oder alles gleichzeitig.

Vor meiner Krankschreibung im März war ich ein starker Mensch. Das haben auch oft andere zu mir gesagt: „Wahnsinn, wie du alles immer so toll schaffst. Ich würde das nicht schaffen.“ Ich war auch immer gut drauf, immer fröhlich und häufig der „glückliche Pol“ in Gruppen oder Teams. Ich glaubte auch selbst, dass ich das war.

Und eigentlich habe ich mich nur krankschreiben lassen, weil ich kündigen wollte – und nach über zehn Jahren in der gleichen Firma da in Ruhe drüber nachdenken wollte. Da ich einen sehr anstrengenden Job machte, brauchte ich dafür einen Arzt. Doch irgendwie kam ich nicht zum Nachdenken und Entscheiden.

Ich fand früher psychische Krankheiten immer total schwachsinnig. Sätze wie „Burnout ist doch was für Leute, die keinen Bock mehr auf ihren Job haben.“ oder „Depressionen sind das neue Vegan: Wer In sein will, muss mitmachen.“ kamen aus meinem Mund. Was für eine Ironie.

Zurück zum 18.06.2015: Ich wollte nicht, dass es 0:00 Uhr wird. Wurde es aber und ich fand es doof. Nach kurzer Gratulation verschwand ich in mein Bett um dort, wie seit Monaten, nicht einschlafen zu können und um 5:37 Uhr grundlos zu erwachen. Ich ignorierte mein Handy, ging nur bei meiner Mama ran um ihr ins Ohr zu weinen, wie scheiße das alles war, und verließ mein Bett nicht – war ja auch schön dort.

Gegen Mittag wollten wir, mein Freund und ich, irgendwo etwas Essen gehen. Die Kleiderwahl gab das übliche Desaster: Es passt nicht – es macht mich fett – ich bin fett – ich will nicht raus.

Und doch verließen wir das Haus und starteten Richtung München City. Auf der Autobahn schlug mein Freund plötzlich etwas vor, ich kann mich heute gar nicht mehr erinnern, was mich derart überforderte, dass ich unter Heulen und Schreien von ihm verlangte, mich sofort wieder nach Hause zu bringen. Der arme Kerl tat das natürlich und so konnte ich weiter mein Bett und mein Leben beweinen.

Ich weiß noch, dass ich besonders an diesem Tag oft dachte, wie schlimm es ist, dass glückliche Menschen krank werden und sterben müssen – und ich leben MUSS und nicht sterben DARF. Selbstmord war keine Option – eher der Tausch gegen jemand anderen, der sein Leben lieber mochte.

Ca. drei Stunden später kam mein Freund zu mir ans Bett und sagte, er wolle nun einen Burger essen gehen und ich könne ja mit. Diese Zwanglosigkeit sorgte dafür, dass ich aufstand, die Maske ähm Schminke aufsetzte und wir tatsächlich gemeinsam Burger essen fuhren.

Zurück zu Hause stand ein Paket vor meiner Tür: Meine Mama hatte mir einen Kuchen geschickt. Zeit um erneut zu beweinen, dass es nicht die Schokoladensahnetorte ist, die ich früher immer bekam, sondern ein Marmorkuchen in Herzform von irgendeinem Kuchenversandanbieter. Mama hat mich eben nur noch Marmorkuchenmässig lieb und nicht mehr Schokoladensahnetortemässig. Aber wofür sollte man mich auch liebhaben?

Etwas später klingelten die Nachbarn zum Gratulieren. Gott sei Dank blieben sie und wir tranken einen sündhaft teuren Champagner, den ich mal als Dankeschön für mein Engagement bei einem Event erhalten hatte. Das half irgendwie.

Dann war endlich dieser furchtbare Tag geschafft und den nächsten Tag konnte ich mich wieder meiner Lieblingsbeschäftigung widmen und mein Bett bewachen.

Knapp zwei Wochen später ging ich erneut zu meinem Arzt und sagte ihm: „Sie haben Recht, ich bin krank. Ich schaffe das nicht alleine, ich brauche Hilfe.“

Zurück zu heute, dem 18.06.2016: Meine Mama kommt uns besuchen. Ich gehe mit meinem Hund Gassi – ich wollte mein ganzes Leben schon einen Hund und nun habe ich ihn – komme heim in unser kleines Häuschen (ein neues Zuhause, im Alten waren Hunde verboten und das Schlafzimmer mochte ich nicht mehr) und werde von der Stimme meiner Mama aus der Küche in den ersten Stock verwiesen – sie ist noch nicht fertig.

Nach einigen Minuten darf ich runterkommen. Ich werde gedrückt und beglückwünscht und erhalte Knöpfchenkuchen. Das ist ein Marmorkuchen, der mit Kuvertüre und Smarties zu einem Knöpfchenkuchen mutiert und mir als Kind viel Freude bereitet hat – so auch heute.

Dann verschwinden wir zwei in die Küche und machen gemeinsam die Schokoladensahnetorte. Ich habe alles vorbereitet und nun wird das Meisterstück fertiggestellt. Dann gibt es Brötchen im Garten. Gegen Mittag verabschiedet sich meine Mama, um etwas auszuruhen und sich umzuziehen und kurz darauf kommt eine Freundin, um mit mir gemeinsam zwei weitere Kuchen zu backen. Gegen drei kommen die ersten Gäste: Es gibt unzählige Umarmungen von lieben Menschen, tolle Gespräche, natürlich Kuchen für eine Fußballmannschaft und eine glückliche Person, die das ab und an kaum glauben kann: mich.

Gegen halb sechs verabschieden sich zwei Gäste, gegen sieben kommen dafür vier neue. Wieder viele Umarmungen, Geschenke, liebe Menschen. Dann wird gegrillt, gemütlich und viel gegessen und irgendwann ist der Abend vorbei. Ich bin glücklich, glücklich und glücklich. Dankbar, dass ich so viele tolle Menschen um mich rumhaben darf. Dankbar, dass ich nicht in jeder Situation in mein Bett flüchten will. Dankbar, dass ich seit Januar selbstständig bin und mich den ganzen Tag mit Dingen beschäftigen darf, die mir Spaß bereiten, die ich gut kann oder die ich sehr gern tue. Dankbar, dass ich die Antidepressiva seit Anfang März nicht mehr nehme – und es mir trotzdem gut geht.

Nur ein trauriger Punkt: Es ist der erste Geburtstag ohne einen Anruf meiner geliebten Großmutter, genannt Öhmili. Sie verstarb Mitte März und warf mich damit in ein großes, tiefes Loch. Für einige Tage dachte ich: Da ist es wieder. Die Depression ist zurück. Ich bin machtlos, das war’s. Aber es ist Trauer. Trauer ist erlaubt. Und wieder bin ich dankbar, dass mein Öhmili mir diese Information mitgegeben hat – obwohl sie nicht mehr unter uns ist. Sie war schwer Alzheimer erkrankt und fehlte mir schon lang – ihr Tot war für sie eine Erlösung und für mich eine wichtige Erkenntnis. Ruhe in Frieden geliebtes Öhmili.

Ich weiß nicht, ob man eine Depression je wieder loswird. Vielleicht ist es ähnlich wie beim Alkoholismus: Man wird trocken, kann jedoch jederzeit rückfällig werden.

Ich habe viel gelernt und bin sehr stolz, dass ich mein Leben so leben kann und darf, wie ich es möchte. Das wäre ohne die Depression nicht geschehen. Ich bin dankbar, dass ich nun die Auslöser kenne und mich dadurch selbst kennen gelernt habe. Ich bin dankbar, dass ich jetzt dankbar sein kann.

Ich weiß jetzt, worum es für mich im Leben geht. Das habe ich vorher nicht gewusst – ich habe gedacht ich weiß es und das hat mich krank gemacht. Nun gebe ich meine Erkenntnisse und mein Wissen weiter um andere Menschen vor dieser Situation zu bewahren. Und dabei genieße ich jeden Tag – weil das Leben ein wunderbares Geschenk ist.

anja bewegt.